Es gibt sie noch, die Orte mit Stil und Ursprünglichkeit, lebendig und lebensbejahend. In Udine spüren Besucher, wie Geschichte und Genuss Hand in Hand gehen. Flanieren wird zu einem Erlebnis, das den Menschen den Raum schenkt, den sie suchen – in einer der charmantesten Altstädte Friaul-Julisch Venetiens.
Es war einmal … und ist noch immer ein Centro Storico, in dem eine besondere Erscheinung regiert. Sie lässt uns durch romantische Gassen und die Arkaden historischer Bauten flanieren. Sie verführt uns mit einladenden Gastgärten und dem Duft nach italienischem Kaffee. Sie macht Lust auf „richtige“ Schuhe statt bequemer Sneakers. Und lockt mit schicken Zweiteilern und Anzügen statt Baggy Jeans und Schlabber-Hoodies. Sie heißt: Eleganza.
Um ihr zu begegnen müssen wir gar nicht weit reisen. Auch nicht in der Zeit. Wir begeben uns in das Zentrum jener Stadt, an der viele vorbei in das weiter entfernte Italien brausen. Wir machen halt – in Udine.
Erinnerungen an die Serenissima
Zahlreiche Details, stellen wir gleich fest, sind uns aus Venedig vertraut – Fassaden, Palazzi, gar bis zu den Dächern hinauf! Dort oben nämlich erinnert eine Besonderheit an die Serenissima: die altane, die hölzernen Aufbauten der luftigen Terrassen mit den schönsten Ausblicken über die Dachlandschaft der Stadt.
Die venezianischen Architekturjuwele auf der Piazza della Libertà zaubern Besuchern der Stadt jedes Mal verliebte Herzchen in die Augen. Die elegante Loggia del Lionello mit ihrem hochglänzenden Fußboden aus rosa und weißem Marmor ist eines der beliebtesten Fotomotive Udines. Gegenüber der Glockenturm, Torre del Campanello, der an jenen in Venedig erinnert, und dies nicht zufällig. Daneben die Salita al Castello, der geschwungene steile Weg mit Laubengang hinauf zum höchsten Punkt der Stadt auf 121 Metern Seehöhe, dem Castello di Udine. Diese zentralen Orientierungspunkte, die uns als Gäste geradezu „empfangen“, dienten schon in der Geschichte als glanzvolle Repräsentationsorte.
Romantische „Rogge“, wichtiger Marktplatz
Die Stadt im Herzen der friulanischen Ebene war, und das weiß man erst seit wenigen Jahren, schon in der vorrömischen Zeit besiedelt. Dokumentiert ist jedenfalls die Jahreszahl 983 – damals wurde unter Kaiser Otto II. das Castello di Udine dem Patriarchen von Aquileia überlassen. In Kirchenbesitz blieb es bis ins 12. Jahrhundert. Die Stadt bekam die heute noch sichtbaren und romantisch wirkenden rogge, die Bewässerungskanäle.
Bauern mussten ihren Zehent abliefern und so wurden die ersten „Magazine“ gebaut. Udine weitete sich aus, es gab bald Handelstätigkeiten. Zeugnis davon ist die heutige Via Mercatovecchio, erster Marktplatz und wichtige Verbindung vom Flusshafen in Aquileia in Richtung Norden. Im 13. Jahrhundert wanderte Udines Markt auf die heutige Piazza Mattetotti, wo er bis in die Neuzeit verblieb. Als die Stadt 1420 den Venezianern überlassen werden musste, war sie das bedeutendste Zentrum Friauls geworden.
Machtwechsel und Identitätssuche
Mit dem Untergang der Republik Venedig im Jahr 1797 folgte die Machtübernahme Napoleons, die ein neues Verständnis von „Stadt“ und damit Regulatorien bis hin zur Zerstörung mit sich brachte. Ein Großteil des historischen Stadtzentrums blieb aber zum Glück erhalten, weil sich Besitzer mit aller Kraft gegen die Enteignung wehrten.
1815 kam Friaul an das Königreich Lombardo-Venetien und damit unter die ungeliebte Habsburgerherrschaft. 1866 schließlich wurde Friaul dem Königreich Italien angeschlossen.
Heute hat die einstige historische Hauptstadt der Region 98.000 Einwohner und ist nach Triest – mit circa 200.000 Einwohnern und seit 1963 der Sitz des Verwaltungszentrums von Friaul-Julisch Venetien – die zweitgrößte Stadt.
Zweisprachigkeit ist allgegenwärtig
Udine ist offiziell zweisprachig, neben Italienisch ist Furlan, also Friulanisch, als zweite Amtssprache anerkannt. Diese findet sich auch auf den meisten Ortstafeln in Friaul-Julisch Venetien wieder. Apropos: Damit ist die italienische Region europaweit Vorreiter in der Umsetzung der entsprechenden EU-Norm, die hierzulande in ein eigenes Gesetz gegossen wurde.
Moderne Mobilität
Lange Zeit war die Suche nach der eigenen Identität der Stadt als Nachteil empfunden worden, ja, als mangelnde Modernität. Heute ist das großteils erhalten gebliebene Centro Storico genau das Gegenteil davon und die Neugestaltung der Via Mercatovecchio bestes Zeugnis. Seit 2020 ist sie nämlich für den Autoverkehr gesperrt und bietet damit freie Bahn für Fußgänger, Radfahrer – und zahlreiche Gastgärten.
Die Ausweitung der bestehenden Fußgängerzonen und damit der nachhaltigen Stadtentwicklung ist bereits fixiert und wird Schritt für Schritt umgesetzt. Das heißt, die Eleganza, die wir heute noch spüren und erleben können, bekommt wohl weiteren Auftrieb.
Platz zum Flanieren und Feiern
Spazieren wir also weiter im Herzstück des Centro Storico. Es ist jedes Mal ein neues Vergnügen, durch die Straßen und Gassen zu mäandrieren. Am Arm baumeln edle Papiertaschen mit kleineren und größeren Errungenschaften, die vielleicht kein Vermögen, aber doch angemessenes Geld kosten und bestenfalls europäischer Herkunft sind.
Auf drei Seiten der Piazza Matteotti, dem wahrscheinlich einladendsten Viereck der Stadt, reiht sich ein Lokal ans andere. Hauptsächlich Café-Bars, in denen man mit Cappuccino und Brioche in den Tag starten und mit Aperol Spritz zum Aperitivo den Abend einläuten kann.
Auf der Westseite des Platzes, bei der Kirche San Giacomo, drückt sich auch noch ein Gastgarten unter deren Schatten. In der Mitte ist die beliebte Piazza meist frei bzw. steht für Feste zur Verfügung, etwa für Friuli DOC oder Ein Prosit in Udine. Früher einmal war hier, wie schon erwähnt, der Marktplatz.
Einkaufen und genießen in Udine
Im Jahr 2011 wanderte der Mercato di Udine ein Stück weiter südlich, auf die Piazza XX Settembre. Die ganze Woche über gibt es dort ein verlockendes Angebot an frischem Obst und Gemüse, auch in Bioqualität, außerdem Fisch, Käse und vieles mehr.
Fleischliebhaber werden von den Fleischereien, den macellerie, angetan sein, derer es im Zentrum noch mehrere gibt: Sie sind Orte des echten Handwerks, wo man zum Einkauf auch persönliche Zubereitungstipps bekommt – das gehört in Italien einfach dazu.
Wer Lust auf Süßes hat, muss ein wenig genauer hinsehen, denn die einst berühmteste Kaffeehausinstitution ist seit Jahren geschlossen. Wir erinnern uns mit etwas Nostalgie an das Caffè Contarena mit seinen Stuckverzierungen und Fresken, mit Jugendstil-Lustern und Thonet-Möbeln. Das Geschäftslokal steht schon seit Längerem zur Verpachtung, doch fand man bis dato keinen angemessenen Bewerber. Die Bemühungen gehen weiter, um dieses Schmuckstück inmitten des Centro Storico der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.
Von Dolci bis Aperitivo
Feine Dolci gibt es meist zum Caffè in den Bars, Letztere punkten vor allem mit Gastgärten zum Sehen und Gesehenwerden. Die kleinen mignons, bei uns auch als Petit Fours bezeichnet, sind meist aus Brand- oder Mürbteig und auch im Stehen leicht zu verzehren – neben einem kräftigen Espresso.
Zu den genussvollen Highlights im Centro Storico von Udine zählt sicherlich der Aperitivo zur rechten Zeit: Besonders samstags, entweder vor dem Mittagessen oder am späteren Nachmittag, spielt es sich dann ab. Man trifft sich mit Freunden und feiert das Leben. Bei Spritz, Franciacorta oder einfach einem Glas friulanischen Wein, dazu ein paar stuzzichini, also fantasievoll belegte Brötchen, Polenta- oder Käsestücke. La vita è bella. Hier kann man schon einmal die Zeit vergessen.
Der Tajut in den Osterie
Besonders typische Orte der Gastlichkeit sind die historischen Osterie Udines, wo die Zeit tatsächlich stehen geblieben scheint. Sie haben vielfach schon Hunderte Jahre als Gastwirtschaft auf dem Buckel und die heutigen Wirte denken nicht im Traum daran, die Patina zu entfernen. Ganz im Gegenteil: alte Holzvertäfelungen, Terrazzo-Böden, in die Jahre gekommene Stühle und Tische bleiben beharrlich dort, wo sie sind, nämlich im Gastraum. Alte Schilder, Aufschriften und Weinkisten werden höchstens einmal abgestaubt und erfreuen immer wieder neue Gäste mit ihrem Erinnerungswert an Zeiten, als vieles noch unkomplizierter und weniger anspruchsvoll war. Einfach, eben.
Hier wird heute noch die Tradition des Tajut gehegt und gepflegt. Meist von älteren Männern, die es mit dem Jahrgang des Mobiliars aufnehmen können. Ein Glas Friulano oder Refosco schmecken eben in Gesellschaft am besten. Und dafür braucht es keine Social Media, weil der soziale Austausch hier real stattfindet.
Typisch friulanisch essen
Für ein unkompliziertes pranzo oder ein schönes Abendessen (cena) bietet Udine Trattorie und Restaurants für jeden Geschmack. Die friulanische Küche ist ein Fixstern, manchmal moderner interpretiert, aber regional und saisonal sind selbstverständliche Qualitätsmerkmale. Traditionelle Gerichte wie Frico, Pasta mit Kaninchen oder Wildschwein, Salsiccia mit Polenta, Musetto e Brovada, ein gutes Stück Fleisch wie Tagliata, Costata oder gar eine edle Fiorentina sind auf vielen Speisekarten zu finden.
Und wer sich für ein Mitbringsel noch etwas Besonderes einfallen lassen möchte, muss dafür keine Kilometer abspulen. Es genügt ein Besuch in einem der ältesten Geschäfte der Stadt, in dem schon seit Generationen verführerische – meist verzehrbare – Geschenke eingekauft werden. Gleich bei der Piazza della Libertà, wo also unser Rundgang begann, findet man alles Gute aus Friaul-Julisch Venetien, Italien und der Welt.
Meine persönlichen Tipps für Udine
Adressen zum Einkaufen & Genießen in Udine
- Mercato di Udine, Wochenmarkt. Von Montag bis Samstag jeden Vormittag bis 13 Uhr breite Auswahl friulanischer und italienischer Lebensmittel, darunter Fisch, Obst, Gemüse, Käse und mehr.
- Macelleria Michelutti, Via del Carbone 7/A. Eine der besten Fleischereien weit und breit, mit einem umfassenden Angebot im kleinen Laden.
- Caffè Beltrame, Via Giovanni Cosattini 16 (und weitere Standorte). Beliebter Ort für Süßes, Kaffee und Aperitivo. Alles von hoher Qualität, es findet sich immer das Passende.
- Laboratorio del Dolce, Via Piave 10. Eine der bewährtesten Adressen für Süßes mit bester Konditorkunst unter Verwendung hochwertiger regionaler Zutaten.
- Cioccolateria Valentinis, Largo delle Grazie 5. Ein verführerischer Ort der Schokolade und Patisserie, mitsamt platzbietendem Kaffeehaus, gleich hinter der Piazza 1° maggio.
- Piccolo Bar, Via Rialto 2/I. Unter den Arkaden neben dem Rathaus ein schicker Ort für guten Wein und appetitanregendes Fingerfood.
- Leon d’Oro, Via dei Rizzani 2. Beliebter Ort für Aperitivo, große Weinauswahl und großer Gastgarten.
- Osteria Aquila Nera, Via Piave 2/A. Ein elegantes Restaurant mit Anspruch. Moderne Interpretation friulanischer Küche, gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.
- Osteria Al Marinaio, Via Cisis 2a. Hier geht es bodenständig zu – in liebevoller friulanischer Weise wird der Gast mit gutem Geschmack, ordentlichen Portionen und humanen Preisen verwöhnt.
- Petit Lorien, Via Cavour 1/e. Ein kleines Universum der hochwertigen Gewürze aus der ganzen Welt, dazu Tees, Kaffee und Accessoires.
- Acer, Via Daniele Manin 16. Familiengeführter Laden mit Geschenksideen der Extraklasse, von feinen Pralinen über Weine bis hin zu edlen Destillaten.
Herrlich! Und so schön geschrieben ! Muss echt wieder mal hin!
Danke dir sehr! Freut mich, wenn der Funke übergesprungen ist!