Osmiza mit Baum

Jede Osmiza ein eigenes Universum

Triest, Karst, Osmiza. Das Dreigestirn, welches Genussmenschen in Stimmung versetzt. Doch was hat es damit auf sich? Eine Annäherung an eine besondere kleine Welt zwischen Wein, Gastfreundschaft und Seelenheimat.

Duftwolken von weiß blühenden Jasminhecken breiten sich in der warmen Sommerluft aus. Millionen Büschel von rosa- bis pinkfarbenen Perückensträuchern bemalen die Felsen in der Ferne und das Gestrüpp am Straßenrand. Im Herbst färben sie alles tiefrot. Anblicke, die man jedes Mal mit den Augen streicheln möchte.

Im Hinterland des Golfs von Triest, hin- und herpendelnd zwischen Italien und Slowenien, schlängeln sich die Sträßchen durch die Wälder und Dörfer des Karsts. Die geschichtsträchtigen Häuser dort sind aus grauem Kalkstein gebaut.

Aber: Die Landschaft dieser einzigartigen Hochebene ist nicht nur lieb. Sie ist auch karstig, genau. Trockene Böden sind mit reichlich Gestein durchsetzt. Wasser ist rar. Um das wenige fruchtbare Land zu schützen, macht man seit jeher aus der Not eine Tugend und türmt die Steinbrocken zu den typischen niederen Trockenmauern auf. Eine wahre Kunst als Antwort auf die Erosion, etwa durch die Bora, den berüchtigten böigen, kalten Fallwind aus Norden. Gleichzeitig dienen die Mäuerchen als Grundstücks- und Weidegrenze.

Die Vegetation ist häufig dicht, eine Mischung aus wilder Macchia und hohem Baumbewuchs von Kastanien über Eichen bis hin zu Schwarzkiefern.

Zwischendurch eine Ecke, die einem wieder bekannt vorkommt. Ach ja, da waren wir auch schon einmal. Umgekehrt sollte man nicht unbedingt suchen, was man sich nicht wirklich gut gemerkt oder notiert hat. Es wäre wohl zum Scheitern verurteilt.

Manchmal gibt das Grün den Blick frei aufs Meer. Da ist schnelle Reaktion angesagt, um jede Gelegenheit zu nützen, sich daran zu weiden. Ist also eine Parkmöglichkeit in Sicht, stehen bleiben. Noch besser: Sich die Blicke erwandern, etwa auf der Strada Napoleonica zwischen Prosecco und Opicina. Parkplätze gibt es an beiden Enden. Ein Rucksack, Wasser und etwas Wanderlust, viel mehr braucht man nicht für grandiose Gratis-Ausblicke auf die tiefblaue Adria.

Besondere Einblicke hingegen folgen auf den Fuß: Hinein ins „Abenteuer Osmiza“! Jede von ihnen ein Universum für sich. Wie also einsteigen in diese unbekannte Welt? Und – was ist überhaupt die Osmiza? „Authentische Gaststätte“, wäre eine zeitgeistige Definition. Auf alle Fälle ist die Osmiza ein Ort der Begegnung und der Gemeinschaft! Und ich sage: Echter und uriger geht’s nimmer.

Die Osmiza, in slowenischer Schreibweise Osmica, ist im Grunde ein Relikt der österreichisch-ungarischen Monarchie. Ihr sei Dank. Kaiser Joseph II., Sohn der hierzulande besonders verehrten Maria Theresia, erließ 1784 per Dekret, dass Bauern ihre Produkte an acht (osem, slow.) Tagen im Jahr vor Ort verkaufen dürfen.


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Heute sind die Bestimmungen glücklicherweise großzügiger – und so sind diese gastfreundlichen Orte mehrmals im Jahr für Besucher da. Familiengeführt, bieten sie von umfassend renoviert bis hin zu rustikal einfach ein ähnliches kulinarisches Programm: Uova sode, hartgekochte Eier, sind traditionell das „Grundnahrungsmittel“ und der Ursprung der Verpflegung in den Osmize. In einer Schüssel auf dem Tresen wartend, einfach zum Schälen und Abbeißen. Fast Food der allerersten Stunde.

Aber das Angebot geht natürlich weiter. An der Theke bestellt man, was oft auf handgeschriebenen Zetteln – den „Speisekarten“ – steht. Die ganze Palette der delikaten Schinken und Würste von heimischen Schweinen: etwa den berühmten luftgetrockneten Karstschinken, ein prosciutto crudo, handgeschnitten. Außerdem gekochten Schinken mit frisch geriebenem Kren, Salami, Ossocollo. Eingelegtes Sauergemüse zur Auflockerung, verschiedenste grob geschnittene Käsestücke, manchmal mit Honig und Nüssen garniert. Alles wird fein säuberlich auf Platten gechlichtet. Gegessen wird jedenfalls ohne Besteck, die Köstlichkeiten pickt man einfach mit Zahnstochern auf. Und selten zuvor habe ich so frisches, flaumiges Weißbrot gegessen wie in den Osmize. Natürlich dick geschnitten.

Die Süßspeisen, denn das muss schon noch sein, tragen eine deutliche k. u. k. Handschrift, wie auch in Triest. Die Kunst der Strudel, Potizen oder „Linzer“ wird von den nonne gehegt und gepflegt.  

Zu trinken gibt es, in unterschiedlicher Qualität – von rau bis preisgekrönt –, die autochthonen Weine des Karst: Vitovska und Malvasia in Weiß, Terrano und Refosco in Rot. Sie werden in Karaffen herbeigeschafft und getrunken wird gern aus den unverwüstlichen Stumpengläsern. „Duralex“ lässt grüßen.

Bestellt man Wasser, kann man sich aussuchen, ob man es aus der Flasche trinkt – oder abwechselnd mit dem Wein aus demselben Glas. Ach, das sind so kleine Details, die man mit Schmunzeln zur Kenntnis nimmt. Vor allem, weil der Unterhaltungswert rundum grenzenlos ist.

Sprachgrenzen übrigens existieren hier in gar keiner Weise, Italienisch und Slowenisch wird je nach Bedarf bunt gemischt verwendet. Familiennamen sind oft hüben wie drüben die gleichen – nur einmal mit und einmal ohne Haček geschrieben. Mit Deutsch kommt man mitunter noch bei den älteren Karstbewohnern weiter.

Die Stille der Karstdörfchen kann jedenfalls täuschen. Man wähnt sich im Niemandsland, begegnet nur selten Menschen auf der Straße. Doch dann, plötzlich eine Ansammlung von parkenden Autos. (Von Triest gibt es übrigens auch Linienbusse hierher!) Ein untrügliches Zeichen, dass irgendwo eine Osmiza geöffnet hat.

Entdeckt man auch noch einen roten Hinweispfeil und einen Efeubuschen (frasca) vor einem Haus, kann nicht mehr viel schiefgehen. So lugt man durch ein Tor, betritt einen Innenhof – und wird empfangen von ohrenbetäubendem Lärm: Das ist die überbordende Lebensfreude der Menschen, die aus Triest und Umgebung herbeischwärmen. Freundesgruppen junger Studenten, SUV-Fahrer, Großfamilien, Pärchen.

Vor allem aber auch Einheimische, die im museumsreifen Fiat Panda auf ein Vierterl, un quartino, kommen, um ein wenig Gesellschaft zu haben. Originale Persönlichkeiten, die man in solcher Dichte sonst nirgends mehr trifft.

Manche Osmize bieten Romantik durch überwältigenden Meerblick von ihren Terrassen, da will man sich gar nicht mehr trennen. Andere wieder sind eingebettet in blumengeschmückte Gärten, wo Kinder nach Herzenslust herumtoben können. Tiere als Hausgenossen sind keine Seltenheit. Ziegen, Esel oder Schweine gibt es dann zu locken und zu bestaunen.

Ein kleiner Verdauungsspaziergang zum Abschluss eines Osmiza-Besuchs ist meist notwendig und führt unweigerlich dazu, gleich wieder neue verborgene Winkel mitsamt rot-weißen Markierungen zu entdecken: Hinweise auf die zahlreichen Wanderwege, die den Karst durchziehen. Durch Wälder und Weingärten und andere Dörfer der Stille. Und wieder versucht man sich angestrengt zu merken, wo man das nächste Mal unbedingt hinwill.

Doch beim darauffolgenden Besuch im Karst kommt aufs Neue die Spontaneität ins Spiel. Und damit sind wir zurück bei der Frage: Wo beginnen? Am besten dort, wo gerade offen ist. Auskunft dazu gibt die ziemlich klug gemachte Internetseite www.osmize.com. Sie liefert eine Liste der aktuell geöffneten Osmize inklusive Übersichtskarte. Bequemer geht’s nicht. Und damit wird jeder Ausflug in den Karst ein gefahrloses, aber umso genussreicheres Abenteuer. Und garantiert „original“.

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