Venedig für immer – aber warum ist das so? Die Antworten darauf sind wohl vielfältig wie seine Besucher. Lassen wir uns also, ganz abseits vom Trubel, in genussvoller Weise auf die Stadt ein und erleben Venedig auch als Ort der Stille.
Gassen, Brücken, Gondeln
Der einzigartige Charme Venedigs zeigt sich nicht nur in den romantischen Kanälen und der atemberaubenden Architektur der Palazzi, sondern auch in der oft überraschenden Weite seiner Plätze und den sich scheinbar wiederholenden Gässchen. In den zahllosen Brücken, unter denen die Gondeln elegant hindurchgleiten. Selbst die bunten Souvenir-Läden, die sich entlang der Hauptmeilen auffädeln, gehören irgendwie zum Mosaik der ewig faszinierenden Stadt in der Lagune dazu.
Erlebnis für die Sinne
Das Schönste an Venedig? Es lädt zum Entdecken ein – frei, entspannt und sicher wie kaum eine andere Stadt. Ohne Plan loszuziehen, sich treiben zu lassen und einfach auf das einzulassen, was einem begegnet, öffnet alle Sinne für besonders in Erinnerung bleibende Momente. Natürlich gibt es ikonische Sehenswürdigkeiten, die man immer wieder besuchen kann. Doch mein Nummer-1-Tipp lautet: Losgehen und genießen.
Zu Fuß und per Vaporetto
Ist man schon müde oder möchte einen größeren Abschnitt bequem zurücklegen, hilft ein Vaporetto, wie die charakteristischen Linienschiffe heißen. Mit ihnen zwischen dem Piazzale Roma bzw. dem Bahnhof Santa Lucia und dem Markusplatz über den Canal Grande zu tuckern, ist schon ein besonderes Gefühl: Zur Kulisse gehört auch das rumpelnde Anlegen an den vielen Haltestellen rechts und links des Kanals. Oft sind die Schiffe aufgrund der vielen Touristen so voll, dass man sich wünscht, vielleicht doch lieber zu Fuß zu gehen?! Sich einen stillen campo – wie man eine piazza in Venedig nennt – sucht, um dort auf einem Brunnensockel oder einer Kirchenstufe sitzend einmal durchzuatmen.
Das alltägliche Leben der Venezianer
Die hier wohnenden Venezianer sind längst weniger geworden, dennoch ist es faszinierend, sie bei ihrem alltäglichen und derart „anderen“ Leben in der Stadt auf dem Wasser zu beobachten. Die Bauarbeiter auf dem Boot voller Ziegel, spielende Kinder, die wild und fröhlich herumtoben, schicke alte Damen, die sich auf der Bank unterhalten. Treppauf, treppab marschieren die Menschen beharrlich mit privaten Einkäufen und Lieferungen für die ungezählten Lokale.
Venedigs kulinarische Seite
Venedig offenbart sich seinen Besuchern auch in Form seiner vielfältigen kulinarischen Genüsse. Wenn auch manchmal gut versteckt, sind sie jeden Schritt wert! Die Bandbreite der authentischen Gastlichkeit reicht von der Kaffeebar und Konditorei (pasticceria) über die familiäre Trattoria hin zum feinen Gourmetrestaurant.
Wollen wir Venedig aus der Insidersicht kennenlernen, gehen wir am besten in ein „einfaches“ Lokal und erleben damit die beliebteste Art von Gastronomie hierzulande: Es handelt sich um das sogenannte bàcaro, eine Osteria oder Weinbar, die wir auf Deutsch übrigens ebenfalls sehr originell als Tschecherl, Beisl, Kneipe oder Beiz bezeichnen. Das Bàcaro ist ein authentischer Ort der Geselligkeit, an dem man sich eben trifft. In Venedig – und generell in der Region Venetien – meist zu einem „Stehachterl“ und einem kleinen Imbiss dazu. Bedeutet hier: Ombra e cicchetti. Man könnte auch sagen, zu einem Aperitivo.
Der Wein im Schatten
Das italienische Wort ombra bedeutet Schatten und die Bezeichnung kommt daher, dass einst unter dem Campanile di San Marco an einfachen Ständen Wein ausgeschenkt wurde. Damit dieser kühl blieb, drückte man sich in den Schatten des „Hausherrn” (auf Venezianisch El parón de casa), wie der berühmte Glockenturm auf dem Markusplatz genannt wird.
Und nicht zuletzt bezeichnete Ombra eine Maßeinheit, die von einem venezianischen Professor namens Marsich eingeführt wurde: Ein halbes Glas, also ein Achtelliter, an der Theke (banco) getrunken, war Ende des 19. Jahrhunderts, Anfang des 20. Jahrhunderts neu – zuvor war der Wein nur in Karaffen und Krügen serviert worden.
Essen & trinken im Bàcaro
Womit wir schon mitten in der Grundverpflegung für einen Venedig-Aufenthalt wären. Denn Lokalitäten für diese Art von Kulinarik gibt es auf Schritt und Tritt. Zumindest in gewissen Stadtteilen (sestrieri) wie etwa San Polo, Santa Croce und Cannaregio.
Jedes Bàcaro hat seinen eigenen Stil, und gerade das macht den Reiz aus. Die Vielfalt der angebotenen Cicchetti ist beeindruckend und umfasst alles, was Land und Meer bereithalten. Die perfekten Begleiter dieser kleinen Gaumenfreuden sind die autochthonen Weine aus Venetien wie beispielsweise Lugana, Soave, Fior d’Arancio, Garganega in Weiß bzw. Corvina und Raboso in Rot.
Immer passend sind ein Spritz Veneziano aus je einem Drittel Weißwein, Soda und „Likör“ wie Aperol, Select oder Campari mit viel Eis und einer Zitronen- oder Orangenscheibe. Oder natürlich ein Glas prickelnder Schaumwein wie der All-Time-High: Prosecco.
In manchen der Bàcari gibt es auch warme Küche, meist einfachere Gerichte aus der venezianischen und venetischen Tradition: Sarde in saor (die süßsauren Sardinen), Risi e bisi (Risotto mit Erbsen), Pasta e fagioli (dicke Bohnensuppe mit kurzer Pasta), Bigoli in salsa (lange dicke Pasta mit einer Sauce aus Sardinen), Fegato alla veneziana (Kalbsleber mit Zwiebeln), Baccalà alla vicentina (in Milch geschmorter Stockfisch, dazu Polenta) oder Trippe (Kutteln).
Keine Scheu vor Neuem
Beim Erkunden der charakteristischen Lokale gilt aber auch: Mutig sein! Wenn ein Bàcaro lockt, einfach hineingehen! Was kann passieren? Im besten Fall entdeckt man einen Ort, an dem sich Einheimische bei einer Ombra unterhalten – und uns Besucher gleich gastfreundlich in ihre Runde aufnehmen. Bei Bedarf sage ich, durch ein freundliches Lächeln ergänzt: Sorry, ich war neugierig. Ich wollte wissen, was es hier gibt! Und schon könnten sich Herzen öffnen. Oder es ist Zeit für einen eleganten Rückzug. Grazie, alla prossima! Danke, bis zum nächsten Mal!
Der Rialto-Markt
Als farbenfrohe Augenweide für Genießer zeigt sich der Rialto-Markt, an dessen Stelle schon seit beinahe 1000 Jahren Markt gehalten wird. Die Händler trotzen tapfer den veränderten Umständen – sinkende Einwohnerzahlen, andere Lebensgewohnheiten – und das Angebot ist immer noch stattlich. Von besonderer Bedeutung ist nach wie vor der Fischmarkt, dessen ausladende Verkaufstische in einer historischen Loggia untergebracht sind. Daneben gibt es appetitliches Obst und Gemüse. Wer genau hinschaut, findet eine besondere Spezialität Venedigs, das auch Slow Food Presidio ist: die hübschen violetten Artischocken von der Insel Sant’Erasmo, direkt in der Lagune vor Venedig gelegen.
Ein Karnevalsgebäck als Krönung
Für Fans der süßen Wahrzeichen Venedigs gibt es eine Vielzahl von Anlaufstellen: In den Vitrinen der beliebten Pasticcerie reihen sich die Köstlichkeiten dicht aneinander – und sie sind es wert, ihnen nicht zu widerstehen. Der kulinarische Höhepunkt des Jahres, zur Zeit des Carnevale, hat einen Namen, oder eigentlich zwei: gemeint sind die fritole oder frittelle. Diese flaumigen Bällchen aus Germ-/Hefeteig haben lange Tradition, denn es soll sie zumindest seit dem 16. oder 17. Jahrhundert geben.
Klassisch haben die Fritole in ihrem Inneren Rosinen und Pinienkerne, doch gibt es mittlerweile viele moderne Füllungen wie Crema Chantilly, Zabaione, Nougat, Pistaziencreme und einige mehr.
Unter den Venezianern gibt es alljährlich in der Faschingszeit ein ambitioniertes Durchkosten, um die Pasticceria mit den besten Fritole zu küren. Social Media hilft dabei. Also, nichts wie los und mitmachen bei der ganz persönlichen Prämierung! Der Schrittzähler sorgt in Venedig garantiert für ein gutes Gewissen.
Orte der Stille
Braucht man schließlich eine Pause von der Opulenz der Lagunenstadt – ja, sie füllt nicht nur den Magen, sondern auch den Kopf – kann es Wunder wirken, sich in ein beschaulicheres Sestriere zurückzuziehen, etwa nach Dorsoduro oder Castello, um von dort vielleicht den Blick über die Lagune schweifen zu lassen. Oder man lässt sich überhaupt gleich vom nächsten Linienschiff auf die kleineren Inseln vor der Stadt – etwa Sant’Erasmo, Vignole und Burano – schippern, um dort ein paar Stunden magischer Stille zu genießen. Wie in einer anderen Welt.
Typische venezianische Begriffe auf Italienisch und Deutsch
bàcaro | typische Osteria Venedigs | |
calle | via | Straße |
campo | piazza | Platz |
cicheto | cicchetto | Häppchen |
fondamenta | lungomare | Uferstraße |
fritole | frittelle | frittiertes Karnevalsgebäck aus Germ-/Hefeteig, klassisch aus Mehl, Milch, Zucker, Rosinen und Pinienkernen |
gondola | Die Gondel als weltberühmtes Verkehrsmittel dient heute nur dem Personentransport und muss ständig angepasst werden (z. B. wegen des hohen Wellengangs durch die vielen Motorboote- und schiffe). | |
rio | canale | Kanal |
sestriere | quartiere | Stadtviertel |
vaporetto, motoscafo, motonave | verschiedene Linienschiffe als öffentliche Verkehrsmittel auf dem Canal Grande und in der Lagune von Venedig |