Aperitivo in Rom

Aperitivo in Italien: Italianità bei Spritz und Stuzzichini

Scusi, una domanda! Das Besondere am italienischen Lebensgefühl? Das so viele Menschen nach Italien zieht? Klar, das Essen. Die Cucina italiana gilt weltweit als die beliebteste Küche. Aber dann folgt gleich ein weiteres Herzstück der Genusskultur: der Aperitivo.

Das stilvolle, relaxte Herangehen an den Feierabend, das gesellige Beschließen eines Arbeitstags. Das Treffen mit Freunden am Wochenende, vor dem Essen, ob mittags oder abends. Ein schickes, oft farbenfrohes Getränk in einem schönen Glas, appetitlich serviert mitsamt ein paar saloppen Worten von der Bedienung. Dazu eine ansprechende Kulisse, auf der historischen Piazza im Centro Storico – oder auch in der Bar mit Meerblick. Allein beim Gedanken daran hüpft unser Herz höher und versetzt uns gleich in Feierlaune. Weil es wohl das vereint, was wir unter echter Italianità verstehen.

Ob im Winter oder Sommer: An den Kultstätten des Aperitivo wird man als Gast verwöhnt.

Der richtige Zeitpunkt

Was also ist sie genau, die Kultur des Aperitivo in Italien? Etwas mehr im Norden als im Süden geht man nach der Arbeit, das heißt ab dem späten Nachmittag, so circa 18 Uhr, gerne auf einen Aperitivo. Am Samstag und Sonntag hingegen durchaus schon am späteren Vormittag, ab 11 Uhr. Im Stammlokal – in der Stadt eine Bar, am Land eine Osteria – trifft man einander, um zu plaudern und das Leben zu genießen. Dazu braucht es meist keine Verabredung, weil einfach immer jemand da ist, den man kennt.

Von Tajut bis Ombra

Der Aperitivo kann recht unterschiedliche Formen annehmen, abhängig von der Region, in der wir uns befinden. In Friaul zum Beispiel ist er geprägt von der Tajut-Kultur. Das heißt, man geht auf ein Glas Hauswein in seine Lieblingsosteria, um sich sich dort am Tresen kurz mit Bekannten und Freunden auszutauschen.

In Venedig kennt man eine ähnliche Gepflogenheit unter dem Namen Ombra. Das Wort ombra bedeutet Schatten und die Bezeichnung kommt daher, dass einst unter dem Campanile di San Marco an einfachen Ständen Wein ausgeschenkt wurde. Damit dieser frisch blieb, drückte man sich in den Schatten des „Hausherrn” (auf Venezianisch el parón de casa), wie der berühmte Glockenturm auf dem Markusplatz liebevoll genannt wird.

Zum Wein ein Häppchen

Und nicht zuletzt bezeichnete die Ombra (wie übrigens auch der Tajut) eine Maßeinheit, die von einem venezianischen Professor namens Marsich eingeführt wurde: Ein halbes Glas, also ein Achtelliter, an der Theke (banco) getrunken, war Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts neu – zuvor war der Wein nur in Karaffen und Krügen serviert worden.

Zur Bewirtung gehörte auch in bescheideneren Zeiten immer eine Kleinigkeit zu essen. Man denke in Friaul an den frico croccante, den knusprig ausgelassenen Käse – oder ein Stück Polenta. Heute ist die kulinarische Bandbreite beim Aperitivo wesentlich größer. Die fantasievollen Häppchen (stuzzichini) bestehen meist aus tartine (kleinen belegten Weißbroten) oder der überbackenen bzw. getoasteten Version davon, den crostini.

Warum eigentlich Aperitif?

Die Tradition des Aperitifs, das Wort kommt aus dem lateinischen aperitivus (öffnend, also magenöffnend, appetitanregend), hat ihre genussvollen Wurzeln – medizinische gab es schon bei den Römern – im 18. Jahrhundert. Damals wurde in Mailand das erste bittere Weingetränk erfunden: der Punt e Mes, ein Wermut. Später kamen Kräuterliköre wie Ramazzotti und vor allem Campari hinzu. Diese Art von Getränken wird unter der Bezeichnung „Bitter“ zusammengefasst.

Generell ist Italien vermutlich das einzige Land der Welt, indem der bittere Geschmack so dauerhaft und weitreichend beliebt ist. Übrigens auch in alkoholfreien Aperitif-Getränken wie Crodino, Sanbitter oder Gingerino.

Mondän in Mailand

Um 1900 wurde in Milano der erweiterte Aperitivo eingeführt, zu dem man bereits Oliven und andere Kleinigkeiten reichte. Ab den 1980er-Jahren wurde die Mode- und Wirtschaftsmetropole zum Inbegriff der mondänen Aperitivo-Kultur mit einer Vielzahl von Häppchen zum coolen Getränk.

Auch eines der beliebtesten Getränke beim Aperitivo, der Aperol, hat eine überraschend lange Geschichte: Ihn gibt es seit 1919 und er kommt ursprünglich aus Padua. Den Aperol Spritz kennt man seit den 1950er-Jahren und damals schon gab es erste TV-Spots dazu. Seinen weltweiten Siegeszug trat er an, als 2003 die Marke Aperol von der Campari-Gruppe übernommen wurde. 

Spritz und „Apericena“

In Mailand wird der Aperitivo heute ausgiebig zelebriert: Als Getränk wählt man häufig einen Cocktail wie Negroni, Americano und Martini. Unverändert beliebt sind Spritz Aperol, Campari und Select.

Apropos: Das Wort „Spritz“ im Italienischen kommt ursprünglich aus dem Deutschen. Denn der Spritzer (also Wein und Wasser gemischt) ist eine österreichische Erfindung, die während der Habsburgermonarchie über Triest den Weg nach Italien fand.

Selbstverständlich geht zum Aperitivo immer auch ein klassisches Glas Wein oder Schaumwein wie Prosecco oder Franciacorta. Dazu gibt es in Milano neben den beliebten Stuzzichini oft warme Gerichte vom Buffet. Hier sprechen wir dann vom sogenannten apericena (einem Fusionswort aus aperitivo und cena). Bezahlt wird ein All-inclusive-Tarif, und so gibt es um 10 bis 15 Euro zu einem Getränk schon einiges als „Unterlage“.

Ein Getränk als Sattmacher

Den Aperitivo gibt es in ähnlicher Form auch anderswo in Italien. Im Süden, etwa in Neapel oder in Sizilien, wird zum Spritz oder Wein automatisch ein gut bestückter Teller mit fabelhaften Teilchen serviert – wofür man letztlich auch bezahlt. Will man das nicht, sollte man schon bei der Bestellung kundtun, dass man nur etwas zu trinken und keinen kompletten Aperitivo möchte.  

Alles in allem ist das Ritual des italienischen Aperitivo vermutlich die beste Art, sich in geselliger und einladender Umgebung um wenig Geld (fast) sattzuessen. So kann es durchaus vorkommen, dass ein geplantes Essen danach auf den nächsten Tag verschoben werden muss … Evviva!


Kleines Aperitivo-Vokabular

ItalienischDeutsch
aperitivo, tajut, ombraBezeichnungen der Aperitifkultur je nach Region
apericenareichhaltiger Aperitif, ersetzt schon das Abendessen
bitterBittergetränk
Aperol Spritz
Campari Spritz
Select Spritz
Cynar Spritz
Basisgetränk mit Prosecco und Soda aufgespritzt, mit Eis und Zitrone oder Orange serviert
Crodino, Gingerino, Sanbitteralkoholfreie Aperitifs
analcolicoalkoholfrei
con / senza ghiacciomit / ohne Eis
con una fettina di limone / d’aranciamit einer Zitronenscheibe / Orangenscheibe
stuzzichino (stuzzichini)Häppchen
patatineChips
tartinaBrötchen / belegtes Brot
crostinoüberbackenes Brötchen / belegtes Brot
cin cin / evviva / saluteverschiedene gebräuchliche Trinksprüche

Live dabei: Streifzug durch Udines Osterias

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