Einer der schönsten Flüsse Europas, der über eine Länge von 172 Kilometern weitgehend „ungezähmt“ fließen darf: der Tagliamento in Friaul-Julisch Venetien. Er ist schützenswertes Naturparadies, da und dort Strombringer, Schauplatz für Wanderungen und andere naturnahe Erlebnisse. Und für uns auch kulinarische Lebensader.
Wenn wir im Zug von Wien nach Venedig oder auf der italienischen Autobahn A 23 von Nord nach Süd reisen, begleitet uns schon durch das Kanal- und das Eisental ein Fluss, dessen Farbe so anziehend ist, dass wir wie hypnotisiert aus dem Fenster blicken und uns an heißen Tagen nur eines wünschen: einzutauchen in das klare, mit Sicherheit tonisierende Gewässer. Hier ist es noch die Fella, die sich später in einem unglaublich weiten Flussbett, auf Höhe des Orts Amaro, in den Tagliamento ergießt und ihn mit ihren Wassermassen so gut wie verdoppelt.
Begeben wir uns also auf eine vielfältige Reise entlang des Flusses, der seinen Ursprung auf dem Passo della Mauria in 1195 Meter Seehöhe hat, und der manchmal nur ein feines Rinnsal ist, dann wieder kräftig Fahrt aufnehmen kann. Je nach Witterung und Umgebung. Der rote Faden dieser Geschichte ist diesmal der blaue Tagliamento. Rechts und links davon gibt es eine Vielzahl bemerkenswerter Kulinarikziele, die uns anlocken.
Eine Auswahl meiner persönlichen Tagliamento-Genussadressen findet sich nun hier.
Antica Osteria Stella D’Oro, Villa
Nähern wir uns über Tarvis dem Tagliamento, machen wir zunächst einen kleinen Schwenk: Bei Carnia, das schon im Canal del Ferro oder Eisental liegt (das Kanaltal endet ja bei Pontebba), verlassen wir die Autobahn und begeben uns Richtung Tolmezzo, am Fuß der Bergwelt der Karnischen Alpen.
Apropos: Tolmezzo ist so etwas wie der Nabel der friulanischen Küche. Denn Gianni Cosetti (1939–2001), legendärer Küchenchef, hat es geschafft, sie italienweit und international bekanntzumachen: Sein Restaurant „Roma“ in Tolmezzo erhielt 1991 den ersten Michelin-Stern der Region. Leider gibt es das Lokal nicht mehr.
Zehn Autominuten von Tolmezzo entfernt befindet sich etwas erhöht (und abgelegen) das Dörfchen Villa di Verzegnis. Und dort die Antica Osteria Stella D’Oro, eine der namhaftesten Osterien Friaul-Julisch Venetiens. Villa beherbergt außerdem ein paar schmucke Häuser, die schöne Taufkirche Pieve di San Martino – und einen „Art Park“ im Freien.
Das historische Gebäude der Osteria war schon früh Gaststätte, musste aber im Zweiten Weltkrieg als Sitz eines Kosakengenerals dienen. Glücklicherweise erhielt es wieder seinen originären Zweck. Herzerwärmend schon bei Betreten der Osteria ist der Anblick des knisternden Fogolârs aus dem 18. Jahrhundert. Doch auf der offenen Feuerstelle wird nicht mehr gekocht. Nur in der Küche, aber wie!
Cjarsóns mit süßem Kohlrabi und Räucherricotta, Toc‘ in braide mit Zwiebelcreme und reifem Käse, Blecs (grob geschnittene Nudeln) mit Wildragout und natürlich: Frico. Hier ist er dickbauchig, weich und cremig, das Kartoffel-Käse-Verhältnis ziemlich ausgeglichen, und er enthält etwas süß geschmorte Zwiebel. Ach ja, und Latteria-Käse in vier verschiedenen Reifegraden. Dazu wird grobe karnische Polenta gereicht. Als weitere Secondi gibt es etwa Tagliata vom Rind mit Milchwirsing und Bratkartoffeln oder gekochte Räucherrippe.
Antica Osteria Stella D’Oro, Via Tolmezzo 6, 33020 Villa
I Molinaro Prosciuttificio, Ragogna
Weiter den Flusslauf abwärts, wir befinden uns fast in Steinwurfnähe zum Tagliamento, befindet sich das Reich von Renato Molinaro, seines Zeichens prosciuttaio, Schinkenmacher. In Ragogna, einer Nachbargemeinde von San Daniele, dem Pilgerort für Rohschinken-Liebhaber liegt in einer Nebenstraße ein kleines Juwel in puncto Lebensmittelhandwerk.
In den 1980er-Jahren begab sich Renato, der heutige Firmenchef, in die Lehre nach San Daniele. Dort suchte man gerade händeringend nach Personal, nachdem die Produktion industrieller wurde. Bei den Molinaros beschloss der Papà einige Jahre später, selbst ein Prosciuttificio zu gründen.
Seither dreht sich hier alles um die dicken Keulen von den eigens dafür gezüchteten schweren Schweinen. In dem Familienbetrieb kommt das Fleisch ausschließlich aus Friaul-Julisch Venetien. Man hat sich mit einer Gruppe von kleineren Zuchtbetrieben und Metzgereien zusammengetan, um gemeinsame ehrliche Sache zu machen. Die Schinkenmanufaktur I Molinaro ist der bisher erste und einzige Betrieb, der den stolzen Namen „Prosciutto di Ragogna“ tragen darf.
Im schönen Verkaufsraum locken feine Nüsse, Biscotti und Schokoladen. Und darunter, in der hell beleuchteten Vitrine, die im Haus produzierten Köstlichkeiten wie Prosciutto crudo in Reifegraden von 18, 24 oder 36 Monaten, weiters Speck (ähnlich unserem Schinkenspeck, leicht geräuchert), Barbonsal (aus dem Wangenspeck), Mindricule (Lende), Pancetta (Bauchspeck). Lauter Möglichkeiten, Schweinefleisch in getrockneter Form haltbar zu machen.
Prosciuttificio F.lli Molinaro, Via Prevalin 11, 33030 Villuzza di Ragogna
Vini Bulfon, Valeriano
Rund um den autochthonen Wein in Friaul-Julisch Venetien gibt es eine Person, die sich große Verdienste erworben hat und mehrfach ausgezeichnet wurde: Emilio Bulfon. In den 1970er-Jahren begann der Winzer in seinen Weingärten zwischen San Daniele und Spilimbergo 24 vergessene und vernachlässigte Sorten wieder anzupflanzen.
Sie werden heute nach modernsten Richtlinien vinifiziert und tragen so klingende Namen wie Piculìt Neri und Forgiarìn (rote Trauben) oder Sciaglìn und Ucelùt (weiße Trauben). Die von Signor Bulfon geretteten historischen Rebsorten werden fast ausschließlich auf seinem Weingut angebaut, das heute von Sohn Lorenzo und Tochter Alberta geführt wird.
I Vini di Emilio Bulfon, Via Roma 4, 33094 Valeriano
Latteria di Coderno, Osoppo / Coderno
Auch wenn in Friaul-Julisch Venetien oft bedauert wird, dass es keine kleinen Molkereien und Käsereien mehr gibt, sind es für unser Empfinden doch recht viele!
Die ganz frühen Wurzeln der heutigen Latteria Sociale di Coderno gehen auf 1889 zurück. Ursprünglich galt das Hauptaugenmerk der Käsereigenossenschaft dem Schutz und Erhalt der regionalen Viehzucht, Schwerpunkt der Produktion war schon ab den 1960er-Jahren der Montasio.
Heute gibt es eine große Auswahl, etwa Latteria, der bekannte eher milde Käse, Mozzarella, Scamorza, Ricotta affumicata und mehr. Die Latteria di Coderno hat neben ihrem Hauptsitz eine Reihe von Verkaufsstandorten in ganz Friaul, zum Beispiel in Osoppo und Udine. Dort findet man weitere feine Dinge für zu Hause wie Prosciutto, Salami, Polenta, Grissini, Wein & Co.
Latteria di Coderno (Hauptsitz und Verkauf), Via Ingorie 2, 33039 Coderno
Latteria di Coderno (Verkauf), Via Giacomo Matteotti, 1, 33010 Osoppo
Macelleria Zanin, Camino al Tagliamento
Im 1600-Seelen-Örtchen Camino al Tagliamento kann man leicht irren. Denn wer glaubt, es gebe eh nur „den einen“ Macellaio Zanin, schneidet sich gewaltig. Also auf die genaue Adresse achten! Bei Fleischermeister Valentino Zanin hat man jedoch gleich das Gefühl, dass er weiß, wo es langgeht. Jedes Detail in seinem Reich der Insaccati, der Wurstwaren, ist durchdacht. Nach 50 Jahren Berufserfahrung trägt Valentino das Know-how in jeder Faser. So gekonnt wie er arbeitet, ist er einer der Letzten seiner Zunft.
Ich darf einen ausgiebigen Blick hinter die Kulissen werfen: Noch nie zuvor habe ich Schimmel so schön gefunden, wahre Kunstwerke in verschiedenen Stadien türmen sich auf den einmal dickeren, einmal dünneren Stangen Salami, auf Ossocollo, Costa, Fiocco oder Pancetta. Der perfekte Schimmel ist die Voraussetzung, um am Ende feinste Ware zu erhalten. Jahrzehntelanges Tüfteln ist der Nährboden für die Exzellenz von Valentinos Fleisch- und Wurstprodukten.
Das Fleisch dafür kommt aus Friaul oder dem östlichen Venetien, gleich hinter der Regionsgrenze. Denn Valentino arbeitet nach dem Kilometro-zero-Prinzip. Selbst eigenes Gemüse wie Zwiebel, Knoblauch, Tomaten und Sellerie kommt in Gerichte wie Kutteln, Lasagne oder Spießchen mit Caponata, die in der Macelleria verkauft werden. Apropos: Wie ernährt sich eigentlich ein so schlanker und jugendlicher Fleischermeister, frage ich ihn? Er erklärt mir: „Ich verzichte lieber auf Brot, Pasta und Süßes. Und meine Blutfettwerte sind perfekt.“
Macelleria Valentino Zanin, Via Tagliamento 10, 33030 Camino al Tagliamento
Vini Ferrin, Camino al Tagliamento
Im ebenen Umland des Tagliamento, praktisch im Herzen Friauls, liegt das großzügige Weingut von Paolo und Fabiola Ferrin. Von den beiden wird man stets wird freundlich empfangen, und sei es auch einmal zur „unchristlichen“ Zeit an einem verregneten Samstagabend.
Bei den Ferrins wird schon seit drei Generationen Wein gemacht – und was da auf 12 Hektar alles gedeiht! Friulano, Verduzzo, Chardonnay, Sauvignon, Pinot Grigio, Ribolla Gialla, Refosco dal Peduncolo Rosso, Merlot, Cabernet Franc, Cabernet Sauvignon, Pinot Nero und Glera.
Aus diesen Rebsorten werden die Weine teils klassisch im Stahltank ausgebaut, teils in Holz vinifiziert. Für Liebhaber des Sprudelnden gibt es drei verschiedene Spumanti, alle in Charmat-Methode hergestellt.
Azienda Agricola Paolo Ferrin, Casali Maione 8, 33030 Camino al Tagliamento
Birrificio Basei, Latisana
Die Mikrobrauerei in Latisana liegt etwas versteckt in einem Hof einer ganz normalen Wohnstraße. Erblickt man ein knallgelbes Firmengebäude mit kleinem Gastgarten davor, ist man richtig. Drinnen herrscht Arbeitsatmosphäre, gleich neben dem Verkaufs- und Verkostungsraum befindet sich der Brauraum. Auf der großen Tafel prangen Biernamen wie Best Bitter, Ambrata oder Koelsh, eine Auswahl der Biere gibt es frisch gezapft.
Verkauft werden die 10 bis 12 Sorten ausschließlich in Dosen – diese sind echte Designobjekte und fast zu schade, um sie dann als leerer wegzuwerfen. Und die Dosen sorgen angeblich für eine bessere Haltbarkeit des Bieres, betont die Schwester des Braumeisters.
Ins Bier kommt bei Basei hauptsächlich internationaler Hopfen, zum Beispiel aus den USA und Australien. Ich bemerke sofort die deutlichen Blütenaromen der Biere, auch Noten von exotischen Früchten schmeicheln Nase und Gaumen. So ein Bierchen hat aber auch Kraft: Manche Sorten kommen schon einmal auf 6 bis 8 % Volumenprozent.
Basei Italian Craft Beer, Via Risorgimento, 6, 33053 Latisana
In Latisana der Sonne entgegen
Der Flusslauf ist lang, und so sind die Geschichten zum Genießen noch lange nicht fertig erzählt. Fortsetzung folgt. Für den vorläufigen perfekten Abschluss unserer Reise empfiehlt sich noch etwas Bewegung: Im Rahmen eines Regionalprojekts unter dem Motto „10.000 Schritte für die Gesundheit“ wurde eine Sanierung des Tagliamento-Damms zwischen Latisana und Latisanotta durchgeführt. Einstiegsmöglichkeiten gibt es beispielsweise im Zentrum von Latisana, auf Höhe der Via Viola. Nun kann man dort kilometerlang mit schönem Blick auf den Fluss spazierengehen und Rad fahren. Am besten immer der Sonne entgegen.
Titelfoto: Danke an meinen Autorenkollegen Werner Freudenberger („Am Tagliamento“). Alle anderen Fotos: Nicole Richter
Liebe Nicole,
deine Geschichten hier im Blog sind ein echter Leckerbissen, die ich immer wieder gerne lese!
Wenn wir uns schon in echt nicht treffen, dann wenigstens hier, wobei die Ursache ja vorwiegend bei mir zu finden ist! Herzliche Grüße – Reinhard
Lieber Reinhard, oh danke, das freut mich natürlich sehr! Herzlich, Nicole