Die typischste aller Kärntner Speisen? Für Süßschnäbel gibt es nur eine Antwort auf diese Frage. Und ihr „Verwendungszweck“ ist vielseitiger, als man vielleicht glauben möchte! Wir sprechen hier, ganz klar, vom Kärntner Reinling.
Er gehört nämlich zu Kärnten wie der Großglockner. Ein Urgestein, das aber zart und flaumig sein sollte. Angeblich bis ins 16. Jahrhundert lassen sich seine Wurzeln zurückverfolgen. Auch er vermag, ähnlich den Kärntner Nudeln, durchaus Diskussionen auszulösen. Zum Beispiel über seine korrekte Schreibweise: Mit oder ohne d – das ist hier die Frage. Die Begründung, dass sein Name von der Rein kommt, also dem flachen runden Geschirr, in dem er gebacken wurde, und damit Reinling geschrieben wird, scheint logisch. Genau so wie jene, dass man in der verkleinerten Version vom Reindl spricht und folglich ein Reindling daraus wird. Wie auch immer, ein kleiner Buchstabe soll uns nicht am großen Genuss hindern.
Was zumindest schlüssig aus diesen Überlegungen hervorgeht, ist seine ursprüngliche Form, die eben auch gerne „polarisiert“: Denn der Rein(d)ling hat, will man der Tradition folgen, keinesfalls ein Loch in der Mitte – wie es sich ergibt, wenn man eine gewöhnliche Gugelhupfform zum Backen nimmt. Früher verwendete man außerdem das sogenannte Schartl, eine „flache Röstpfanne“, weshalb der Reinling in manchen Gegenden auch Schartl heißt – sogar bis ins italienische Kanaltal hinunter. Wieder modern, weil sie so schön sind und hervorragende Backergebnisse bringen, sind kunstvolle Formen aus Steinzeugton, die seit mehr als 30 Jahren in Handarbeit von Familie Polzer in Knappenberg hergestellt werden. So weit zum Äußeren.
Wie aber sehen nun die inneren Werte des Reinlings aus? Es handelt sich dabei um einen Germteigkuchen, der klassisch mit Zucker, Zimt, Rosinen, manchmal auch Kakaopulver und Walnüssen gefüllt wird. Zubereitet wird er üblicherweise aus Weizenmehl, einst verwendete man etwa auch Karobenmehl (Johannisbrotkernmehl). Der Germteig wird rechteckig ausgerollt, mit der Fülle bestreut, immer wieder mit reichlich Butter bestrichen und beträufelt, und letztendlich schneckenförmig in die Form gelegt und gebacken.
Gegessen – und gekauft – werden kann der Reinling, der übrigens diesseits und jenseits der kärntnerisch-slowenischen Grenze Pohača heißt, heutzutage zu jeder Jahreszeit. Beliebt als Nachspeise oder zum Kaffee oder zwischendurch, in jedem Fall aber ist er traditionell ein Fixstarter bei der Kärntner Osterjause. Wer es nicht glauben kann, muss es probieren: Mit großer Hingabe wird zu feinem Schinken oder Geselchtem, zu Selchwürsten (die dann Osterwürste heißen), gekochter Zunge von Rind, Kalb oder Schwein, frisch geriebenem Kren, hart gekochten gefärbten Eiern und noch einigem mehr – der süße Reinling verspeist.
Viele sparen bei der Zubereitung des Osterreinlings etwas an Zucker und Rosinen ein, damit er eben nicht ganz so „pickig“ ist. Dennoch, die Kombination begeistert so sehr, dass ausgewanderte Kärntner (und oft sogar deren Freundeskreis) sich genau diese Osterjause, also mitsamt Reinling, von der Familie, oder zeitgemäß per Onlineshop, in die ganze Welt bestellen, weil sie ohne ihn nicht sein können.
Ein besonders liebenswertes Duo stellen auch der Reinling und die Villacher Kirchtagssuppe dar. Diese durchaus elegante Suppe, die äußerst aufwendig mit vier oder fünf Sorten Fleisch gekocht und unter anderem mit Safran und Zimt gewürzt wird, harmoniert bestens mit ihrem süßen Begleiter.
Und weil die Kärntner Küche ein Schmelztiegel mehrerer Kulturkreise ist und damit germanische, römische und slawische Einflüsse hat, gibt es südlich der Landesgrenzen liebe Verwandte: die Potica und die Gibanica in Slowenien und die Gubana in Friaul-Julisch Venetien. Auch sie waren ursprünglich ein Festtagsgebäck, welches heute das ganze Jahr über verwöhnte Gaumen erfreut. Und wie beim Reinling oder Reindling haben Beschützer wahrer (kulinarischer) Werte ein Auge auf die Alpen-Adria-Großfamilie der gefüllten Kuchen: So sollen diese traditionellen Speisen auch den nächsten Generationen erhalten bleiben.
Original Kärntner Reinling
Rezept aus dem Kochbuch-Klassiker Kärntner Küche von Willi Tschemernjak
Buchempfehlung
50 Dinge, die ein Kärntner getan haben muss, Claudia Lux und Nicole Richter, Styria Verlag. Überraschendes, Abenteuerliches und Unerhaltsames für „Eingeborene“ und Kärnten-Fans.
Bezugsquelle
Handgetöpferte Reinlingformen (und andere hochwertige Töpferware). Keramik Polzer, Knappenberg 31, 9376 Knappenberg.
Fotos: Amerigo Dorbolò Uek (1), www.slovenia.info/Tomo Jesnicnik (2), Polzer (1), alle anderen: Richter