Weil ich schon beim Radieschenbrot von der Bedeutung der Ästhetik gesprochen habe, vom Auge, das sich von bestimmten Anblicken nähren will: Meist ist das Wohlfühlen, auch unbewusst, mit allen Sinnen verbunden. Im Zusammenhang mit der Sensorik gibt es ja die bekannte Reihenfolge Auge – Nase – Gaumen.
Bevor wir etwas kosten wollen, betrachten wir es, nehmen es unter die Lupe. Kann es schmecken? Sind Farbe und Beschaffenheit einladend oder gar abstoßend? Appetitanregend präsentierte frische Würste, Käselaibe oder roher Fisch. Üppig verzierte Cupcakes oder ein Berg Kastanienreis? Ein saftiges Stück Schokokuchen!
Dann die Nase, sie ist permanent am Tun. Beruhigend, wenn man einen vertrauten, geliebten Geruch wahrnimmt. Etwa Apfelkompott, die Zimtnoten, vielleicht etwas säuerlich. Oder man riecht Sommerblüten wie Rosen und Linden, inhaliert die Salzbrise am Meeressteg.
Den Weingartenschwefel beim Wandern zwischen den Zeilen, wenn man im Wald hinter Cormòns aufsteigt, um bald danach zu den kräftig-grünen Weinbergen zu gelangen. Wo sich der Blick Richtung Castello di Spessa auftut. Aaahhh … Oder der einzigartige Blick über das südsteirische Hügelland.
Aber es riecht auch überall anders! Über dem Castello di Spessa, in der Südsteiermark oder am Klopeiner See.
Frisch gemahlener Kaffee in einer Innenstadtgasse. Grünes, weiches Seewasser an einem beschaulichen Kärntner See. Oder auf der ganzen Welt Duftschwaden von frischer Pizza, die schon die Knusprigkeit erahnen lassen und augenblicklich Heißhunger auslösen.
Doch jetzt kommt endlich der Geschmackssinn an die Reihe: Unterwegs, wo wir vielleicht schon viele visuelle Eindrücke hatten … da müssen wir unbedingt noch etwas probieren, schmecken. Vorher fahren wir nicht nach Hause! Über Zunge und Gaumen (und natürlich die Nase) bleiben auch Orte in Erinnerung. Weißt du noch, die dickste Fischsuppe, der fruchtigste Muskateller, das aromatischste Haselnusseis?!
Farbenfroh auch die frisch ausgelösten Borlotti-Bohnen, zwischen den Fingern kühl und hart.
Der Tastsinn darf mitspielen, wenn wir bei einem schönen Abendessen Brot aus dem Körbchen nehmen, es zerteilen. Die knusprige Rinde, das weiche, flaumige Innere spüren. In der Küche rohes Fleisch oder Leber schneiden, borstige getrocknete Kräuter zwischen den Fingern zerreiben. Weiche Tomaten würfeln, Erbsen oder Bohnen aus ihren Schalen lösen. Germteig kneten, Butter mit Mehl und Zucker zu Streuseln abbröseln, Knödel drehen.
Beim Genießen ist sogar das Ohr beschäftigt! Durch Kauen, durch Abbeißen. Geröstete Nüsse hören sich anders an als knackige Schokolade. Oder eine rohe Karotte! Hast du außerdem schon einmal versucht, eine Weinverkostung mit der passenden Musik zu untermalen?
Der Hörsinn ist besonders im Freien, beim Wandern oder Spazieren, in der Stadt, gefragt – Genuss ist ja für mich ein erweitertes „zu sich Nehmen“.
Etwa in Triest auf dem Molo Audace, die Bora als Bass wahrnehmen. Das metallische, hohe Kling-Kling der Segelboote, die Masten wie Zahnstocher aufgereiht, in der Marina von Grignano mit Blick auf Schloss Miramare. Oder in Maria Loretto, in Klagenfurt, mit Blick auf Schloss Loretto! Dahinter azurblauer Himmel. – Und da kommt nun der sechste Sinn ins Spiel: die Intuition. Das Spüren, in dem Moment den richtigen Ort gefunden zu haben. Und genau dieses bewusste Wahrnehmen hält uns lebendig. Das alles ist Ästhetik! Evviva!